Neuer Tag, neuer Mut. Nachdem ich gestern nahezu alle Lagerplätze abgeklappert hatte, auf der Suche nach etwas Essbaren, will ich mich heute tiefer in den Wald wagen. Entgegengesetzt dem Lager der Mapori, ich bin doch nicht bescheuert. Am Ende essen die mich noch, weil sie behaupten ich wäre vom Baum gefallen.
Ich hoffe unbeobachtet einen Fisch zu fangen oder ein Kleintier zu jagen. Weil ich habe nicht vor auf diesem Eiland zu verhungern. Und ich habe auch nicht vor, mich nur noch von Nüssen, Beeren und Wurzeln zu ernähren. Bevor das passiert, esse ich alle Mapori und die Säerin muss dabei zusehen.
Ich sprach ja schon von ihr. Die Säerin. Das erste Zusammentreffen war ziemlich kurz. Wegen dem Papier ist sie ja wieder abgedampft wie eine brennende Furie. Der Vergleich hinkt, die Mapori machen gar kein Feuer. Egal. Ich dachte auch am Anfang sie wäre die Seherin. Das mag zwar auch zutreffen, aber in erster Linie ist sie für das Wachstum verantwortlich. Sie schien mir ziemlich jung, fast schon kindlich. Ich vermag sie kaum einzuschatzen. Manchmal wenn man einfach nur sie betrachtet, wie sie mitten in einer tosenden Schlacht auf dem Boden kniet und umgeknickte Grashalme glattstreicht und sich dann in ihrem Gesicht der gesamte Schmerz beider Welten widerspiegelt, kann man für einen Moment vielleicht erahnen, wie alt sie wirklich ist. Und wäre es nicht genug, steht sie dann auf und geht wieder auf ihren Berg. Und dann hört man stundenlang nichts von ihr.
Aber wenn sie dann von ihren Berg herunter steigt und über die endlosen Wiesen voll Buschwindröschen wandelt, da könnte man schon einen Moment die Zeit vergessen.
Liebe Erika versteh mich nicht falsch. Ich bin nur ein einfacher Metzger, und der Anblick von diesem etherischen Pflänzchen lässt mich zu weilen wahrlich den Faden verlieren.
Erika glaube mir, mein verliebtes Herz gehört nur dir. Und ich sehne mich an den Tag, an dem wir uns wiedersehen können. Morgen schreib ich dir was mir der Tag zu bieten hatte.
Der Morgen des dritten Tages war kalt und einsam, ohne dich.
Was ich bisher nicht schrieb, wie ich dazu komme dir zu schreiben, obwohl ich weder weiß woher du kamst oder wohin du gingst. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal ob du dich je an mich erinnern wirst, gesetzt des unwahrscheinlichen Falles das dich diese Zeilen je erreichen werden.
Ist doch das Schreiben das Einzige was mich davon abhält bereits am dritten Tag völlig wahnsinnig armewedelnd und schreiend über die Insel zu laufen, in der Hoffnung die Mapori machen meinem Elend ganz schnell ein verfrühtes Ende. Dabei ist es wahrscheinlich das Schreiben was die Mapori mehr erzürnen wird, als das Schreien und Arme wedeln. Gegen das Schreiben an sich hätten sie wahrscheinlich nichts, wenn man es nicht auf Papier täte. Der Besitz von Papier war der größte Frevel den man auf der zweiten Insel unwissender Weise begehen konnte.
Andere würden lachen, aber das Mitführen von Papier hat die geistige Anführerin der Mapori derart aus der Fassung gebracht, dass sie erst wieder mit uns sprach als wir den Schreiberling ins Lager zurück schickten. Wo er dann in aller Eile seine Papiere vergrub, um sich darauf hin auf seiner Hand den ganzen Tag Notizen zu machen, um es dann nachts auf eine alte Schweinehaut zu ritzen.
Und das Erste was ich tat, als mir klar wurde, dass ich für alle Ewigkeit hier festsitzen würde, ich buddelte seinen Papierkram aus und versteckte ihn in meinem neuen Zuhause. Der zerstörte Zuber war nun mein Geheimniswahrer. Und auf Papier liegt es sich wärmer als gedacht.
Der Hunger war es, der mich auf dem großen Platz des Wettbewerbs umhertrieb, in der Hoffnung etwas Essbares zu finden. Ich stocherte im Müll aller Lager und fand zwar einiges Brauchbares, aber nur wenig Essbares. Also führte mich mein Weg in den Wald. Mal sehen ob der Wald mich ebenso ernährt, wie er es bei den Mapori tat.
Ich fand ein paar Nüsse und ein paar Beeren, von denen ich mir sicher war, dass sie mich nicht umbrachten.
Zu guter Letzt fand ich einen dieser Pilze, die auch die Mapori zu sich nahmen und kehrte in mein ärmliches Lager zurück, um dir diese Zeilen zu schreiben, liebste Erika.
es sind erst ein paar Momente, die ich auf das Meer starre. Dem immer kleiner werdenden Punkt am Horizont hinterher blickend und dem Wahnsinn, der ganz leise im Inneren meines Kopfes anfängt gegen die Schädeldecke zu pochen, erschreckender Weise gewillt zu sein anheim zu fallen.
Ich kann mich an die letzte Nacht kaum mehr erinnern. Gefeiert hatten wir, wohl. Nicht unseren Sieg, nein als die freiwilligen Verlierer feierten wir die Gemeinschaft und unseren kleinen Sieg für das große Ganze. Die Freunde, die sich fern ab von ihren Lagern und fern ab von ihrer Heimat auf diesem Eiland gefunden haben und etwas wahrlich Unglaubliches vollbracht haben.
War es doch wahrlich Wurst aus welchem Lager der Einzelne war, mit dem man seinen Trunk teilte, weil wir hatten die letzten Tage gemeinsam geschwitzt und geblutet, während die Lager auf den Schlachtfeldern gegeneinander stritten.
Zu tief in den Becher geschaut hab ich wohl. Doch dass ich meinen Verstand am Boden der letzten Flasche versenkt haben musste, wurde mir erst so richtig bewusst, als ich am nächsten Tag völlig allein mitten im Wald jenseits des Baches, am Fuße der Himmelstreppe aufwachte. Die Sonne hatte ihren Zenit schon lange überschritten.
Bei allen Göttern, ich würde mein Schiff verpassen, dachte ich und lief armewedelnd durch den Wald bis an den Ort, wo gestern noch mein Zelt gestanden hatte.
Als ich meinen Lagerplatz völlig verwüstet vorfand, machte ich mir zuerst Sorgen, dass in der Nacht noch etwas Schlimmes passiert sei. Hier sah es aus, als wäre das Zelt des Alchemisten in die Luft geflogen. Ich lief also armewedelnd weiter zum Landungssteg und dort stand ich noch, als die Sonne am Horizont verschwunden war.
Ich hatte nicht nur mein Schiff verpasst. Ich hatte das letzte Schiff verpasst! So was kann auch nur mir passieren. Ich musste zwei oder drei Tage geschlafen haben.
Und warum hatte mich niemand geweckt?
Komm zum Wettstreit haben Sie gesagt, da kannste ne ganze Insel gewinnen, haben Sie gesagt. Ruhm und Ehr, haben Sie versprochen.
Ja, die ganze Insel hab ich wohl für mich allein. Aber was nützt mir das. Könnte ich diese Insel doch eintauschen um noch eine weitere Nacht bei dir zu sein.
Die erste Nacht war reichlich seltsam, liebe Erika.
Ich hab mich in der verwaisten Stadt in einem leckgeschlagenen, umgestürzten Zuber, den man wohl nicht mehr reparieren konnte, niedergelassen. Geschlafen hab ich nur wenig. Bin ich doch seit Jahren nicht mehr wirklich allein gewesen. Immer in Sorge, dass es meinem Herren gut ginge, war ich in seinem Tross nie wirklich alleine. Weil es sorgten sich allerlei gute Menschen um diesen edlen Mann.
Ich bin ihm überall hingefolgt. Sogar als er seine Zelte in der Heimat abbrach, um auf die erste Insel zu reisen. War ich immer an seiner Seite. Aber wie konnte mich der Herr denn nur vergessen?
Er hielt doch immer so große Stücke auf mich! Ich war zwar nur ein einfacher Metzger, aber mein Handwerk schien so überragend zu sein, dass mich der Herr auf seinen Hof bat, damit ich ihm täglich mit meinen Wurstvariationen verwöhnte. Das hätte sich mein Vater nie träumen lassen, dass unsere ‘Grobe Fette’ mal so berühmt werden würde. Das Familienrezept der groben aber fein geräucherten Leberwurst brachte mich nicht nur an den edlen Hof des Freiherrn Quain Wohlgenannt, ohne von und zu, wie er immer scherzte, nein diese Wurst brachte mich noch ans Ende der unsbekannten Welt. Und da sitz ich nun in einem halbumgeworfenen kaputten Zuber und hoffe dass die Mapori mich nicht erwischen.
Der Phönix des Südens hatte zum Wettstreit aufgerufen und ich war meinem Herren Quain Wohlgenannt auch auf die zweite Insel gefolgt. Wenn mancher denken könnte, dass die erste Insel schon seltsam gewesen war, die Zweite schlug im dem Fass im wahrsten Sinne des Wortes den Boden aus. Hab ich ein Glück, dass ich die dritte Insel in diesem Leben nicht mehr erreichen werde.
Ich kann meine Dummheit auch nicht fassen, aber sowas kann auch nur mir passieren. Alleine und Verschollen unter diesen Dreckfressern.